Über Berlins neues Schulfach „Digitale Welten“, im Gespräch mit Melanie Stilz

Bild: Melanie Stilz, von Stephan Röhl. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Auf eigene Initiative hin und mit der Unterstützung des Berliner Senats, führt die TU-Berlin ein neues Schulfach ein. „Digitale Welten” soll es heißen. Aktuell finden Fortbildungen statt, in denen interessierte Lehrer*innen sich auf das neue Vorhaben vorbereiten. Wir haben mit Melanie Stilz von der TU-Berlin gesprochen, die die Einführung des Schulfaches koordiniert.

Welches Ziel hat das Fach „Digitale Welten“?
Es bildet die Brücke zwischen dem Studienfach „Wirtschaft Arbeit Technik“, das an der TU-Berlin für Lehramtsstudierende angeboten wird, und dem großen Bedarf der Schulen, Aspekte der Digitalisierung zu thematisieren. Durch dieses neue Fach werden insofern neue Wege gegangen, indem wir versuchen Digitalisierung angewandt und praxisnah umzusetzen. Das Konzept, welches dahinter steckt, ist die digitale Mündigkeit.

Die Nachfrage der Schulen ist hoch, die Fortbildungskurse sind voll. An welchen Einrichtungen wird das Fach eingeführt?
Das Wahlfach wird in der ersten Runde in 11. und 12. Klassen an Berliner Schulen angeboten, erst einmal für den Zeitraum von einem Jahr. Lehrende, die an der Fortbildung teilnehmen, kommen hauptsächlich von Gymnasien und auch teilweise von integrierten Sekundarschulen. Unser Anspruch ist, dass das Fach langfristig mindestens in die Sekundarstufe eins kommt und länger als ein Jahr geht. Die Erwartung war, dass sich sehr wenig Schulen melden werden. Aber dann kamen Rückmeldungen von über 20 Schulen und wir mussten die Bremse ziehen. Wir waren selbst überrascht über das Feedback.

Fortbildung „Digitale Welten“, von Melanie Stilz.
Lizenz: CC-BY 4.0

Gibt es so viele technisch versierte Lehrer*innen? Wer nimmt an den Fortbildungen genau teil?
Es nehmen vorwiegend Informatik-, Mathematik- und Physiklehrer*innen teil, die sowieso schon in dem Bereich unterrichten, aber auch solche, die aus ganz anderen Fächern kommen. Das war auch unserer Anspruch an das Fach, dass wir gesagt haben: Wir wissen, dass es an Informatiklehrer*innen mangelt und wir brauchen jetzt nicht auf Informatik-Niveau Fortbildung betreiben. Denn dann haben die Schulen weiterhin das gleiche Problem. Unser Anspruch war, dass wir ein Eintauchen in verschiedene Themen bieten, das sehr praxisnah ist. Ein Eintauchen, das in den Schulen dann in Projekten vertieft werden kann. Es ging also darum, in bestimmten Bereichen die Expertenrollen zu verschieben oder abzuschwächen. Um eben stärker die Verantwortung an die Schüler*innen abzugeben, sich selbst Kompetenzen anzueignen, eigenständig zu lernen, natürlich methodisch und didaktisch angeleitet durch die Lehrenden.

„Digitale Welten“ soll also Themen der Digitalisierung in einem Fach bündeln. Diese Ein-Fach-Lösung ist nicht unumstritten. Was antwortest Du Kritikern?
Natürlich wäre es wünschenswert, dass die Themen der Digitalisierung in verschiedenen Fächern auftauchen. Aber momentan beobachten wir das Problem, dass selbst Informatiklehrende Schwierigkeiten haben. Man kann klassischen Deutschunterricht mit dem Smartphone machen, ohne sich nur im geringsten mit den Technologien dahinter auseinander­zusetzen. Das hängt an ganz vielen Gründen. Zum einen gibt es nicht genügend Lehrer*innen, die über entsprechende Kompetenzen verfügen. Zum anderen fehlt es aber auch an Unterrichtsmaterialien, die sich durch digitale Inhalte auszeichnen. Darunter haben dann nicht nur die Informatiklehrer*innen zu leiden. Selbst wenn man versucht digitale Themen in anderen Fächern unterzubringen, kann man nicht erwarten, dass alle diese Leistung erbringen können, wenn die Lehrenden nicht zumindest Unterrichtsmaterialien gestellt bekommen.
Was meiner Erfahrung nach zu oft einseitig beantwortet wird, ist die Frage „Was bedeutet eigentlich Digitalisierung in der Bildung?“ Zum einen gibt es natürlich die Ebene der Anwendung. Da wird auch breit gefordert, dass die in allen Fächern stattfindet. Ob das jetzt Smartboards, Tablets oder Smartphones sind. Das hat aber noch gar nichts mit den Inhalten zu tun. Man kann klassischen Deutschunterricht mit dem Smartphone machen, ohne sich nur im geringsten mit den Technologien dahinter auseinanderzusetzen. Zum anderen sind also inhaltliche Aspekte notwendig. Die zweite Ebene, neben der der Anwendung, ist die technische, die Auseinandersetzung mit der Funktion. Die spielt ein Stück weit in den Informatikunterricht mit rein. Die dritte Ebene ist die soziokulturelle: Was bedeutet das für meinen Umgang mit Daten, mit Überwachung und so weiter. Alle drei Aspekte gehören zusammen. Dieser Zusammenhang kann nicht von allen Fächern geleistet werden. Das überfordert Lehrende oder Schulen. Deswegen bin ich auch überzeugt, dass es ein solches Fach braucht. Die Digitalisierung entwickelt sich so rasant, dass ein Impulsfach notwendig ist, welches sich ganz explizit mit aktuellen Themen auseinandersetzt.

Digitale Tools für den Klassenraum, von Maximilian Voigt. Lizenz: CC-BY 4.0

„Digitale Welten“ ist also auch auf Schüler*innen ausgelegt, die weniger technisch versiert sind?
Genau, das Fach hat auch sehr kreative Aspekte. Es spielt eine große Rolle, sich selbst Zusammenhänge zu überlegen, mit anderen im Team Ideen und Projekte zu entwickeln, die nicht nur das Technische beinhalten. Making und OER
Die Medienpädagogin Kristin Narr berichtet von ihren Erfahrungen mit Making sowie der Verwandtschaft von Making und OER.

Das hört sich nach einem sehr offenen Unterricht an. Aber auch der braucht konkrete Bildungskonzepte. Welche Ideen wurden da bereits entwickelt?
Ein Beispiel, mit dem wir versuchen offene Kooperation anzustoßen, ist digitale Fabrikation. Zum Beispiel setzen sich Schüler*innen im Rahmen eines Projektes mit der Frage auseinander, was sinnvoll mit 3D gedruckten Elementen gebaut, repariert oder weiterentwickelt werden kann. Schulen können mit Fab Labs oder 3D-Druck-Cafés, von denen es einige in Berlin gibt, zusammenarbeiten und dort auf entsprechende Geräte zurückgreifen.

Ist dann am Ende das Projekt das, was bewertet wird?
Genau, das ist die Herausforderung, an der aktuell eine AG arbeitet, die auf die Initiative des Senats hin gegründet wurde. Sie besteht aus acht Lehrenden der Fortbildung und ist mit der Aufgabe betraut, ein erstes Konzept in Richtung Rahmenlehrplan zu entwickeln. Das wird auch die Frage beinhalten, ob man im Fach „Digitale Welten“ von den vorgegebenen Klausuren abweichen kann. Normalerweise muss es zwei Prüfungen im Jahr geben, wobei eine als Projekt bewertet werden kann. Wir müssen gemeinsam mit den Lehrenden den Unterricht strukturieren und gestalten, dass sich nach dem ersten Halbjahr eine schriftliche Arbeit ergibt, die bewertet wird. Am Ende soll nicht allein das Projekt an sich beurteilt werden, sondern der ganze Prozess, in dem es entstanden ist.

Und welche Kompetenzen sollen die Schüler*innen dabei erwerben, gibt es Vorgaben?
Damit beschäftigt sich ebenfalls die AG. Ich denke aber, dass die Schlagworte “digitale Mündigkeit” für uns über allem stehen - der selbstständige, mündige Umgang mit digitalen Fragestellungen. Ob das die Freizeit betrifft, die Arbeit, Big Data oder digitale Fabrikation: Die Schüler*innen sollen befähigt werden, zu solchen Themen eine eigene Einschätzung zu entwickeln.

Fortbildung „Digitale Welten“, von Melanie Stilz.
Lizenz: CC-BY 4.0

Wie wird das Fach in diesem Prozess Jugendlichen gerecht? Welche Rolle spielen zum Beispiel soziale Netzwerke, Gaming oder der Gebrauch von Smartphones? Werden die Lehrenden speziell darauf vorbereitet?
Diese Aspekte spielen eine Rolle. Zum Beispiel zu “Fake News” haben wir Unterlagen. Die Themen sollen allerdings von den Schüler*innen selbst erarbeitet werden. Gerade die Bereiche, die weniger anwendungsbezogen sind, haben wir so konzipiert, dass sie in verschiedenen Abstufungen und Teams erarbeitet werden können. Nach dem Schema: Teamarbeit, Präsentation, Diskussion und anschließende Dokumentation. Wir konnten natürlich nicht für ein Schuljahr und Fach alle Themen umfassend umsetzen.

Das hört sich nach einer Menge Arbeit an. Wie wird das Vorhaben unterstützt?
Die Konzeption und Umsetzung wird komplett von der TU-Berlin getragen. Wir haben auch noch keine Projektfinanzierung. Momentan machen wir das aus Überzeugung für das Thema. Ohne die Unterstützung und offenen Lehrmaterialien von Initiativen wie dEIn Labor an der TU oder AppCamps wäre das aber nicht möglich gewesen.

Und die Lehrenden, welche Unterstützung erhalten sie?
Das ist ein schwieriges Thema. Der Senat unterstützt aktuell die acht Schulen durch Abminderungsstunden, welche sich an der “AG Curriculare Vorgaben” beteiligen. Außerdem konnten alle teilnehmenden Schulen Anträge für Ausstattung einreichen.
Wir stehen noch ganz am Anfang und es ist klar, dass sich da noch viel entwickeln wird. Auch die Erwartungen an die Lehrenden sind hoch. Es gehört natürlich dazu, dass engagierte Lehrer*innen sich dieser Herausforderung stellen.

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